Der Begriff ‚Gotik‘ leitet sich vom Volksstamm der Goten ab und war zunächst abwertend auf die Kunst nördlich der Alpen bezogen (vom italienischen Kunsttheoretiker Giorgio Vasari im 16. Jahrhundert geprägt). Seit Goethe („Von deutscher Baukunst“, 1772) erhielt die Gotik eine zunehmend positive Bewertung.
Die gotische Epoche umfasst die französische Kunst und Architektur seit Mitte des 12. Jahrhunderts und die europäische Kunst und Architektur des 13. bis 16. Jahrhunderts, wobei in Italien bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Renaissance einsetzt.
Mit zeitlichen Verschiebungen in den einzelnen europäischen Ländern ist die Gotik zu unterteilen in:
1. Die Frühgotik (Übergang von Romanik zu Gotik), die in Frankreich ausgehend von der Île-de-France bereits ab Mitte des 12. Jahrhunderts, in England ab 1175 in Erscheinung tritt. Als Wiege der Gotik gilt die Basilika Saint-Denis bei Paris, die ab 1137 errichtet wurde. In Deutschland beginnt die gotische Epoche um 1235 mit dem Bau der Elisabethkirche in Marburg.
2. Die Hochgotik des 13. und 14. Jahrhunderts bringt ein weitgehend einheitliches Bild der Architektur in Europa hervor. Das französische Bild- und Formengut wird durch den Austausch zwischen den Bauhütten neben der Architektur auch in allen anderen Gattungen im europäischen Raum übernommen. Mit dem Bau der Kathedrale von Chartres (1194-1260) wird in Frankreich der entscheidende Schritt von Früh- zu Hochgotik vollzogen, es folgen Reims (1211 begonnen), Amiens (1220-69) und Beauvais (nach 1284). Die Hochgotik wird in Deutschland im Jahr 1248 mit dem Bau des Kölner Doms, in direkter Anlehnung an die französische Hochgotik, eingeführt.
3. In der Spätgotik bilden sich schließlich wieder nationale Sonderformen, es werden vermehrt Predigerkirchen und Kapellen für die private Andacht gebaut und Dekorationssysteme weiterentwickelt. Die Sonderentwicklungen des 14. und 15. Jahrhunderts erlangen ihre reichsten Entfaltungen in Deutschland und England. Dazu zählt auch die norddeutsche Backsteingotik in den Hansestädten des Ostseeraums; als frühes Beispiel gilt die Klosterkirche von Chorin (um 1320).
Die Gotik hängt eng mit der Erfindung des Rippengewölbes und der damit einhergehenden einheitlichen Verwendung von Spitzbögen zusammen. Durch das neue Konstruktionssystem aus Pfeilern und Strebewerk ergeben sich eine Betonung der Vertikalen sowie die Auflösung der Wandflächen, die durch große, farbige Fensterflächen gefüllt werden. Die verdrängten Wandmassen erscheinen am Außenbau als Strebepfeiler und Strebebögen. Die Bauweise der gotischen Kirche verliert dadurch gegenüber der vorangegangenen Romanik an Massivität.
Die Gotik strebt nach Vereinheitlichung und Weite der Räume, nach einem Einheitsraum bei äußerlicher Geschlossenheit der Bauten und reiht nicht mehr, wie in der Romanik, Einzelräume aneinander.
Eine Vielzahl an Dekorationsformen wurden in der gotischen Epoche hervorgebracht: 1211 wird das erste Maßwerk, das sich zu immer komplexeren Formen entwickeln sollte, in Reims geschaffen. Im 12. und 13. Jahrhundert bilden sich vielfigurige Portalprogramme heraus. Und im Laufe des 15. Jahrhunderts werden reichere Gewölbekonstruktionen entwickelt: Die deutsche Spätgotik kennt Netz-, Stern- und Schlinggewölbe.
Die Kathedrale des Mittelalters, das Gesamtkunstwerk aus Architektur, Skulptur, Malerei und Glasmalerei gilt als Wahrzeichen der Stadt, sie spiegelt die Wandlung des mittelalterlichen Weltbildes wider, das mit einer neuen Frömmigkeit und mystischen Strömung einhergeht. In ihrer Funktion als Krönungsort oder Grablege legitimiert die Kathedrale den königlichen Herrschaftsanspruch.
Von besonderer Bedeutung für die Gotik war die Ausbildung von Bauhütten seit dem 13. Jahrhundert, ein Verband aller an einem großen Kirchenbau beteiligten Steinmetzen, Handwerker und Bauleute, die unabhängig von der städtischen Zunftordnung und mit einer eigenen Ordnung arbeiteten. Aus diesem Zusammenwirken lässt sich der einheitliche Eindruck mittelalterlicher Kathedralen erklären. Zu den führendsten Bauhütten bis um 1300 zählen die Kathedralbaustellen in Köln und Straßburg. Erstmals treten Baumeister und Künstler namentlich hervor.
Seit 1221 bzw. 1223 sollten auch die Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner für die Baukunst relevant werden: Sie schufen schlichte, typologisch unterschiedliche Ordenskirchen in den Städten. Das Armutsideal der Orden hatte Auswirkungen auf die Architektur, die auf Schmuckelemente verzichtete, eine nüchternere Raumauffassung mit einem vereinheitlichten Aufriss, ohne Querhaus und mit einem reduzierten Chor aufwies (Orientierung auf das Wort, die Predigt).
Dies führt zur Entwicklung der Hallenkirche (Wiesenkirche in Soest) im 14. Jahrhundert, die bis ins 16. Jahrhundert der führende Bautyp in Deutschland bleiben sollte.
Eine entscheidende Rolle spielt auch der städtische Profanbau: Einhergehend mit dem Aufblühen der Städte im Mittelalter rücken neben dem Sakralbau auch andere Bauaufgaben, wie Rathaus, Zunfthaus (Kölner Gürzenich), Stadtbefestigungen, repräsentative Stadttore und freistehende Türme nach italienischem Vorbild in den Blickpunkt. Reichsstädte begannen um 1220/30 mit dem Bau von Spitälern, Rathäusern (Rathaus Münster) und Tuchhallen.
Siehe auch Routen zu
Gotik in Aachen
Gotische Kirchen am Niederrhein
Gotische Rathäuser
Redaktion baukunst-nrw
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